Geschlechtergerechte Sprache

Eine Sprache, die mitdenkt - Menschen, Wörter, Geschlechter und was wir daraus machen.
Die Frage, wie ein geschlechtergerechter Sprachgebrauch aussehen könnte, bewegt die Menschen und nicht selten auch die Gemüter. Der Duden befasst sich in seiner aktuellen Ausgabe auf einigen Seiten mit dem Thema und gibt Tipps, wie Personenbezeichnungen geschlechtergerecht angepasst werden können.

Eine allgemein gültige und akzeptierte Norm dafür gibt es bisher nicht. Aber – und das ist das Wunderbare an der Sprache – es gibt sehr viele Optionen. Und es gibt Chancen, nicht nur selbst kreativ zu werden, sondern auch Haltung zu zeigen, sprachlich und darüber hinaus.

Das Tolle an der Sprache ist, dass sich mit ihr Botschaften übermitteln lassen. Und das Tollste daran ist, dass diese Botschaften zwar ständig missverstanden werden, aber nur sehr schwer nicht zu verstehen sind. Beispiel: Jemand bekommt schon wieder Socken zum Geburtstag. „Hurra, Socken, die kann ich immer gebrauchen“, wer das sagt, müsste gestisch, mimisch und in Sachen Tonfall schon einiges aufbieten, um rüberzubringen, dass er oder sie es ernst meint.

Apropos er oder sie oder es, der, die, das. Während meiner Ausbildung zum Lektor hatte ich eine spanische Mitbewohnerin. Ihr Deutsch war nahezu perfekt. Allerdings lag sie bei so gut wie jedem Artikel daneben. „Ich habe der Auto vorm Haus geparkt“, konnte sie beispielsweise sagen, dann stutzte sie und verbesserte sich: „das Auto“. So wie Word der Auto beim Schreiben blau anmerkt, merkte sie innerlich, dass sie den falschen Artikel gewählt hatte, und fand durch bewusste Anstrengung stets den richtigen.

Als Nichtmuttersprachlerin fehlte ihr der von früh auf erlernte und intuitive Zugang zum jeweiligen Genus der Substantive. In jedem Satz, bei jedem Substantiv musste sie kurz innehalten und überlegen, wie der entsprechende Artikel lautete. An ihrer leicht gerunzelten Stirn war leider nicht abzulesen, wie sie den korrekten Artikel hergeleitet hat. Suchte sie nach biologischen Zusammenhängen, gab es andere Marker, die sagten: Maskulinum, Femininum, Neutrum? Sie konnte auch so etwas sagen wie: „Der Bäckerin war sehr nett.“

Liegt das Genus in der Natur der Sache?

Ist Sprache denn biologisch? Bei uns vorm Haus steht ein Kran. Der Kran ist dort nicht geparkt, sondern er ist Teil der Baustelle. Der Kran der Baustelle, die bei uns vorm Haus ist – die Baustelle ist also vorm Haus, sagt die Kongruenz in diesem Satz. Das ist generisch stimmig. Der Kran der Baustelle, der bei uns vom Haus ist – auch der Satz ist korrekt, nutzt nur einen anderen Bezug. Und der Kranführer? Ja, der sitzt oben in seiner Kabine und genießt den Blick. Empirisch belegt ist, dass bei einem solchen Satz mindestens zwei Drittel aller Menschen, die ihn lesen, denken, der Kranführer sei ein Mann. Die Kranführerin in ihrer Kabine lässt hingegen 100 Prozent aller an eine Frau denken.

Das Phänomen, um das es hier geht, ist das notorische generische Maskulinum. Es ist die übliche Methode, die grammatisch männliche Wortform als Allgemeinbegriff zu nutzen, wenn es auch eine feminine für Personen- und Berufsbezeichnungen gibt. Im aktuellen und auch schon länger andauernden Ringen um eine geschlechtergerechte Sprache sehen die einen das generische Maskulinum als einfache und bewährte Lösung. Die anderen sehen es als Teil des Problems, nämlich dass das „Mitdenkenmüssen“ von anderen als männlichen Geschlechtern zu unverbindlich ist.

Hier die Norm, dort die Abweichler

Interessant daran ist, um auf den Anfang zurückzukommen, dass es fast nicht möglich ist, herauszufinden, was jemand mitdenkt oder im Einzelnen meint, wenn er oder sie etwas sagt. Bei die Socken, äh, den Socken ist das kein großes Problem und die mangelnde Freude über das wenig originelle Geschenk gehört quasi dazu und ist fast ein Spiel. Schwieriger ist es, eine Norm zu brechen. Wenn es heißt, die Benachteiligung von Frauen sei tiefergehend als ihre Abbildung in der Sprache, dann wird die Anpassung der Sprache voraussichtlich nicht zu einem Wandel bei uralten und systemischen Haltungen führen. Benachteiligen Gesellschaften, deren Sprache kein generisches Maskulinum kennt, Frauen nicht oder weniger oder nutzen sie andere Codes, um Vorherrschaften zu manifestieren? Studien, die das bestätigen, gibt es. Studien, die das nicht bestätigen, gibt es auch.

Richtige Fehler und falsche Botschaften

Als Lektor werde ich häufig gefragt, was denn nun richtig sei in Sachen Gendern. Die Antwort ist leicht: Senden Sie eine konsistente Botschaft und achten Sie darauf, dass sie zu Ihnen und zu Ihrer Zielgruppe passt. Sprachlich ist ganz viel richtig; kulturell ist ganz viel falsch. Eine geschlechtergerechte Sprache wird geschlechterbezogene Ungerechtigkeit nicht auflösen können, solange dahinter nicht eine geschlechterbewusste Haltung steht.

Wenn wir das generische Maskulinum als Norm nehmen, ist die Norm graduell maskulin gefärbt. Alle Abweichungen vom generischen Maskulinum wären dann eben Abweichungen und schlimmstenfalls Schwundformen. In diesem Sinne müsste eigentlich jeder Sprechende daran gemessen werden, ob er oder sie seinen oder ihren Worten Taten folgen lässt. Und zwar Taten, die dem Gesagten entsprechen.

Eine neue Sprache zu schaffen, die all diese Herausforderungen auflöst, das könnte schwer werden und es würde sehr lange dauern, sie zu etablieren. Sprache ist jedem Menschen noch näher, als Socken es je sein können. Laute sind Gefühle, Stimmungen und Prägungen, die einfach sehr, sehr tief gehen. Nicht nur im eigenen Leben, sondern auch im kulturellen Gedächtnis einer Gemeinschaft und ihrer Codes.

Es gibt, Frauen, Männer und den Wandel

Und nu? Vergessen wir nicht, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt. Bäckerinnen und Bäcker, das ist ja gut und schön. Was aber mit den anderen Backenden? Das Back? Das generische Maskulinum kann schon dem Namen nach und auf Wortebene nicht zweifelsfrei für alle stehen, da es zwar nicht biologisch ist, also ein solches Geschlecht hat, aber als männlich getaggt ist.

Meine Großmutter würde dazu sagen: „Vergiss das Ganze mal lieber. Davon wird auch keiner satt“, und hätte damit zum Teil auch Recht. Aber Ansprüche oder Anforderungen, ungeachtet ihrer Angemessenheit, abzutun oder gar verächtlich zu machen, bringt auch nichts. Darüber hinaus ist der Sprachwandel für Sprachexperten natürlich äußerst spannend. Und er findet statt. Problematisch ist behördlich verordneter Wandel (siehe Rechtschreibreform); per se gut ist Wandel, der aus der Community der Sprechenden kommt, denn nur er wird sich durchsetzen.

Wenn die unterschiedlichen Geschlechter sich Gehör verschaffen in der Sprache, werden auch ihre Anliegen wahrgenommen. Und ihre Anliegen werden berücksichtigt werden, wenn sie verstanden werden. Und wenn sie verstanden werden, müssen sie nicht aktiv mitgedacht werden, sondern liegen in der Natur der Sache. Und das bedeutet ganz sicher nicht, dass es nächstes Jahr Krawatten für alle gibt!

 

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Hendrik Rost

Teamleiter deutsches Lektorat, war vor über zwanzig Jahren Volontär bei Wieners+Wieners; seit dem Jahr 2017 ist er wieder bei uns und liest und liest – beim Pendeln wie im Büro!
Hendrik Rost