Sprache ist ein Werkzeug, das unendlich variiert werden kann. Es gibt nicht die eine richtige Sprache. Es gibt aber viele Ansätze, sie zu formen und ihre Verwendung zu beeinflussen. Und: Es gibt für jeden Anlass und jede Situation die passenden Worte.
„Immer wenn ich *innen sage, fühlt sich jemand weniger außen vor.“ So war neulich in einem Post auf LinkedIn zu lesen. Dafür gab es viel Zuspruch. Klar, denn Sprache, so meinten die Kommentatorinnen und Kommentatoren, schaffe Bewusstsein und verändere damit die Realität. Das lässt sich so sehen. Allerdings ist Sprache kein unmittelbarer Ausdruck einer Innenwelt. Wie ich spreche, hängt stark davon ab, mit wem ich rede, was meine Intention ist, welche sprachlichen Mittel mir individuell zur Verfügung stehen und ob ich professioneller Schwadroneur bin oder „nur“ Alltagsrhetoriker.
Fragen wir Platon: „Worte sind nur Bilder von Eindrücken. Wenn diese Eindrücke falsch sind, dann sind auch die Worte falsch.“ Damit betont Platon die enge Verbindung zwischen Sprache und Wahrheit. Er war der Meinung, dass die Wahl der Worte und die Art und Weise, wie sie verwendet werden, einen großen Einfluss darauf haben können, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und verstehen. Merke: Er sagt nicht: wie die Welt ist.
By the way: Das *innen für weibliche Menschen steht für eben diese und hat nichts mit innen im räumlichen Sinne zu tun. Aber für die mutmaßlich gute Sache – da kann auch kritisch gekalauert werden. Wer sagt, dass Sprachkritik nicht auch zu Tricks greifen darf?
Zur Sache
Sprachkritik heißt, wie wir oben schon gelesen haben, Sprache zu analysieren und zu bewerten, besonders in Bezug auf ihre sozialen, kulturellen und politischen Auswirkungen. Sie kann auch verschiedene Aspekte in den Blick nehmen – Grammatik, Wortschatz, Syntax und Semantik. Das Ziel der Sprachkritik ist es, eine bewusste Nutzung zu fördern. Vielleicht für mehr Gerechtigkeit oder Integration. Vielleicht aber auch für mehr Distinktion … denn der gemeine Sprachkritiker ist schlau und gern auch ein Besserwisser.
Viele Tageszeitungen hatten oder haben Sprachkritik in ihr Repertoire aufgenommen. Das Hamburger Abendblatt hat dafür eine wöchentliche Glosse. In der geht es immer wieder um die fälschliche Nutzung der Sprache, meist aus Unkenntnis der Regeln. Zu Recht weist der Verfasser in einer Lieferung darauf hin, dass der persönliche Sprachgebrauch immer einem Stil unterliegt. Und er kann durchaus individuell sein. Das ist relevant, weil ich will mit meinen Äußerungen ja einen Effekt erzielen. Das gelingt mir gegebenenfalls besser, wenn ich „markant“ rede und zum Beispiel bewusst Abweichungen einsetze.
A Star is born
Momentan sind Themen wie Gendern und Anglizismen besonders aktuell und haben eine wichtige Rolle in der Sprachkritik eingenommen. Das Gendern zielt darauf ab, eine inklusivere Sprache zu fördern und die Gleichstellung der Geschlechter zu unterstützen. Kritiker argumentieren jedoch, dass es zu kompliziert sein kann und die Lesbarkeit des Textes beeinträchtigt. Sprachkritik ist hier ganz und gar eine Kritik der gesellschaftlichen Umstände. Anglizismen werden oft als modern und trendy angesehen, aber viele Kritiker argumentieren, dass ihr Einsatz die deutsche Sprache beeinträchtige und nicht zuletzt ein Ausdruck von kultureller Unterwerfung gegenüber der englischen Sprache sei. Abgesehen davon, dass Sprachen immer aus Wörtern unterschiedlicher Sprachen bestehen und sehr viele Lehnwörter haben können (im Deutschen sind es Latein und Alt-Griechisch, die besonders prominent sind), entwickelt sich die Sprache ohnehin organisch und könnte unmöglich auf einem festen Niveau eingefroren werden.
Organisch: aus dem Lateinischen. Niveau: aus dem Französischen. Sprachkritik ist jedoch wie wir gesehen haben mehr als die Versuche, Sprache entweder hin zu etwas zu drängen oder sie weg von etwas zu bewegen. Sie will zum Beispiel die Verwendung von Sprache fördern, die respektvoll gegenüber Menschen mit Behinderungen ist. In der Vergangenheit wurden viele Begriffe genutzt, die Menschen mit Handicaps stigmatisierten und entmenschlichten. Beispiel: Statt zu sagen, jemand „leide“ an einer Behinderung, kann sie diese auch einfach „haben“.
Kritisiert wurde und wird immer
Seit der Antike gab es immer Menschen, die sich kritisch mit der Sprache auseinandersetzen. Hier sind einige Beispiele:
Martin Luther: Der Theologe und Reformator hat mit seiner Übersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche eine Art deutsche Hochsprache erfunden. Er setzte sich dafür ein, dass die Sprache verständlich und zugänglich für alle Menschen ist. „Dem Volk aufs Maul schauen“, das stammt von ihm.
Wilhelm von Humboldt: Der Sprachwissenschaftler und Staatsmann gilt als Begründer der modernen Sprachwissenschaft. Er betonte die Bedeutung der Sprache für das menschliche Denken und setzte sich für eine differenzierte Betrachtung der Sprachen und Kulturen ein. „Der Mensch ist nur Mensch durch die Sprache“, sagte er einst.
Karl Kraus: Der österreichische Schriftsteller und Satiriker kritisierte vor allem die Verwendung von Floskeln und Phrasen in der politischen und gesellschaftlichen Sprache und forderte eine präzisere, ehrlichere Sprache. „In keiner Sprache kann man sich so schwer verständigen wie in der Sprache“ – wenn Kraus da nicht Recht hatte.
Theodor Adorno: Der Philosoph und Soziologe setzte sich in seinen Schriften intensiv mit der Sprache und ihrer Rolle in der Gesellschaft auseinander. Er kritisierte die Verwendung von abstrakten, verallgemeinernden Begriffen und forderte eine stärkere Berücksichtigung der individuellen Erfahrung in der Sprache. Seine Texte sind allerdings schwer zu lesen. „,Wir‘ sagen und ,Ich‘ meinen ist eine von den ausgesuchtesten Kränkungen“, behauptete der Philosoph.
Zu guter Letzt
Sprachkritik ist auch zu sagen, was eine Sprache nicht kann. Deutsch hat keine Entsprechung zu satt versus hungrig. Wer nicht durstig ist, hat wohl genug zu trinken gehabt, hat aber kein eigenes Wort für den Zustand.
Was Sprache kann und ist, sehen wir auch an diesem kleinen Beispiel: Wofür es keinen Ausdruck gibt, den Zustand des Gut-hydratisiert-Seins, gibt es trotzdem eine Realität, das Gefühl keinen Durst zu haben. Darauf und auf alles, was die Sprache uns ermöglicht, einen Dujardin.
Hendrik Rost
Bereichsleiter Sprache bei Apostroph Germany und seit 2017 im Unternehmen. Seine Leidenschaft gilt allem, was Texten, Editing und Übersetzen angeht – menschgemacht oder künstlich und am besten in Kombination. Neben der Sprache liebt er Familie, Laufen und Canis lupus familiaris!