Welche Sprachen gelten als einheimisch im Vereinigten Königreich?

Ein Überblick über die erstaunlich vielfältige linguistische Landschaft Großbritanniens

Nach dem Ableben von Königin Elisabeth II. im September 2022 reiste ihr Sohn König Charles III. während seiner ersten Regierungstage durch das gesamte Vereinigte Königreich. Seine Rede in Cardiff hielt er – wie häufig bei offiziellen Besuchen in Wales – abwechselnd auf Englisch und Walisisch. Bevor Charles 1969 zum Prince of Wales ernannt wurde, hatte er an der Aberystwyth University Walisisch gelernt – ein Kapitel in seinem Leben, das auch in der Netflix-Serie „The Crown“ in einer Episode thematisiert wird.

Entgegen der weit verbreiteten Ansicht ist Großbritannien keineswegs ein Land, in dem alle nur eine Sprache sprechen, wie am Beispiel von Charles deutlich wird. Wenngleich das Englische die linguistische Landschaft dominiert, so gibt es doch zahlreiche andere einheimische Sprachen in Y Teyrnas Unedig, An Rìoghachd Aonaichte oder vielmehr dem Vereinigten Königreich.

Einheimische Sprachen des Vereinigten Königreichs

Geografisch betrachtet wird Englisch nahezu überall im Vereinigten Königreich gebraucht und gilt als Amtssprache. Jüngsten Erhebungen zufolge sprechen fast 60 Millionen Einwohner – oder 98 % der Bevölkerung – fließend Englisch. Allerdings ist Englisch nicht per Gesetz zur offiziellen Sprache erhoben worden, obgleich es diesen Status de facto genießt.

Tatsächlich ist Walisisch derzeit von Rechts wegen die einzige offizielle Sprache in einem Teil des Vereinigten Königreichs, nämlich in Wales. In den zurückliegenden Jahrzehnten haben Gesetzgeber in Westminster und Cardiff verschiedenste Gesetze erlassen, um sicherzustellen, dass Walisisch der englischen Sprache gleichgestellt ist und im öffentlichen Dienst verwendet werden kann. Trotz dieser Bemühungen nimmt der Anteil der Menschen, die in Wales fließend Walisisch sprechen, jedoch ab und beläuft sich derzeit auf etwa 312.000 Personen.

Schottisch ist nach Englisch die am zweithäufigsten gebrauchte Sprache und wird von über 1,5 Millionen Menschen gesprochen. Zwar wird Schottisch manchmal nicht als eigenständige Sprache, sondern als englischer Dialekt angesehen, in jüngsten Erhebungen wurde sie aber gesondert aufgeführt. Die meisten des Schottischen mächtigen Leute haben sie als Zweitsprache erlernt. Gleichwohl ist Schottisch ein wertvoller Bestandteil der schottischen Identität, der sich in Musik und Literatur niederschlägt.

In Schottland ist noch eine andere Sprache des Vereinigten Königreichs beheimatet: das schottische Gälisch. Die genauen Ursprünge dieser Sprache sind unklar, es wird aber vermutet, dass sie die Westküste Schottlands vor rund 1.500 Jahren zusammen mit irischen Siedlern erreichte. Nachdem sich die Sprache in vielen Gebieten des heutigen Schottlands verbreitet hatte, wurde sie während der Highland Clearances im 18. Jahrhundert, als die im schottischen Hochland lebenden Menschen zugunsten der flächendeckenden Einführung der Schafzucht vertrieben wurden, stark verdrängt und ist seitdem sehr rückläufig. Heutzutage sprechen etwa 60.000 Menschen das schottische Gälisch fließend, das entspricht 1 % der schottischen Bevölkerung.

Irisch wird in Nordirland und in Gemeinden größerer Städte Großbritanniens wie Glasgow, Liverpool und London gesprochen. Laut einer Erhebung im Jahr 2011 gebrauchen fast 105.000 der in Nordirland lebenden Menschen – oder 6 % der Bevölkerung – die Sprache. In jüngster Zeit unternahm die britische Regierung erste Schritte, um Irisch als offizielle Sprache Nordirlands anzuerkennen.

Die Sprachen der nicht sesshaften Gemeinschaften im Vereinigten Königreich

Shelta ist eine Mischsprache, die ihre Ursprünge in einer Gemeinschaft von Irisch sprechenden nicht sesshaften Menschen hat. Demzufolge beruht sie heute maßgeblich auf Irisch und Hiberno-Englisch – den auf der irischen Insel anzutreffenden englischen Dialekten. Es gibt schätzungsweise 35.000 Menschen, die Shelta im Vereinigten Königreich sprechen, allerdings sind darüber kaum offizielle Zahlen vorhanden.

Eine weitere Mischsprache im Vereinigten Königreich ist Angloromani, die auf Romani und Englisch basiert. Nach der Auswanderung auf die Britischen Inseln im 16. Jahrhundert sprachen die Romanichal, eine in England lebende Gruppe der Roma, Romani. Diese Sprache wurde nach und nach vom Englischen als Alltagssprache abgelöst. Das von den Nachfahren der Romanichal verwendete Angloromani verbindet heutzutage Romani-Vokabular mit englischer Syntax. Wie für Shelta finden sich auch für Angloromani kaum Angaben zur genauen Anzahl der Menschen, die diese Mischsprache nutzen, sie liegt vermutlich bei etwa 40.000.

Auch Gebärdensprachen zählen

Im Vereinigten Königreich werden ferner drei verschiedene Gebärdensprachen verwendet. Weder für die irische Gebärdensprache noch für die nordirische Gebärdensprache liegen Zahlen vor, von der britischen Gebärdensprache ist aber bekannt, dass sie landesweit von 125.000 Menschen gebraucht wird. Ähnlich wie gesprochene Sprachen variieren Gebärdensprachen ebenfalls sehr stark – so hat die irische Gebärdensprache mehr mit der französischen als mit der britischen Gebärdensprache gemein.

Eine Sprache oder keine Sprache?

Kornisch galt Mitte des 18. Jahrhunderts als ausgestorben. Dank einsetzender Bemühungen zur Wiederbelebung der Sprache Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs das Interesse an der kornischen Sprache ebenso wie die Zahl der Leute, die sie erlernen. Neuesten Angaben zufolge sprechen nur etwa 600 Personen Kornisch, doch die Popularität der Sprache nimmt in der englischen Grafschaft Cornwall zu. Inzwischen ist Kornisch als Sprache gemäß der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen anerkannt.

Dank all seiner einheimischen Sprachen zeichnet sich das Vereinigte Königreich trotz der beherrschenden Stellung der englischen Sprache durch eine linguistische Vielfalt aus – ganz abgesehen von den zahlreichen Dialekten, die noch hinzukommen. Großbritannien kann zudem mit vielen weiteren Sprachen aufwarten, die aufgrund von Immigration Einzug ins Land hielten, aber darüber reden wir ein anderes Mal.

Daniel Gray

Daniel Gray ist Lektor und Übersetzer für das Englische Lektorat von Apostroph Germany. In seiner Freizeit läuft er gern, fährt viel Fahrrad und unternimmt mit seinem Hund Streifzüge durch die brandenburgische Landschaft rund um sein Zuhause.
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