Wir nehmen kein Blatt vor den Mund – Redewendungen, frei übersetzt

Im Deutschen verwenden wir täglich zahlreiche Redewendungen, die wir mit einer Bedeutung versehen haben – aber wo kommen sie eigentlich her und wie nutzen wir sie heute?

Tuten und blasen?

Sie haben, was dieses Thema betrifft, von Tuten und Blasen keine Ahnung? Wären wir im Mittelalter oder in der frühen Neuzeit unterwegs, wäre das ein ziemliches Armutszeugnis und man könnte Sie noch nicht mal als Nachtwächter gebrauchen – ohnehin schon kein angesehener Beruf in der damaligen Zeit. Wenn derjenige dann noch nicht mal in der Lage war, das Horn, das er mit sich führte, um im Falle des Falles Alarm zu schlagen, anständig zu betätigen, hatte er von Tuten und Blasen keine Ahnung und war gänzlich ungeeignet.

Bretter und Ochsen

Der eine oder andere von Ihnen hat hier ein Brett vor dem Kopf, nicht wahr? Was heute gleichbedeutend damit ist, begriffsstutzig zu sein, kommt eigentlich – schon wieder – aus dem Mittelalter. Ochsen waren beliebte Zugtiere für die landwirtschaftliche Arbeit. Damit sie nicht scheuten, wurde ihnen bei der Feldarbeit ein Brett vor die Augen gehängt. So wurde ihnen die Sicht genommen und verhindert, dass sie sich erschreckten oder ablenken ließen. Hier war das Brett also etwas Gutes – zumindest für den Bauern. Heute geben wir uns tunlichst Mühe, den Blick frei und offen schweifen zu lassen.

Frei von der Leber weg

Damit Sie und wir stets auf dem neuesten Stand sind, wollen wir hier kein Blatt vor den Mund nehmen. Was für ein Blatt eigentlich – vielleicht das mit Ihrer neuesten Werbeanzeige? Mitnichten. Das Sprichwort „kein Blatt vor den Mund nehmen“, bereits seit dem 13. Jahrhundert belegt, ist aus einer alten Theatersitte abgeleitet. Um nicht für Dinge zur Rechenschaft gezogen werden zu können, die der Schauspieler auf der Bühne kundtat, hielt er sich schlicht und ergreifend ein Blatt vors Gesicht, um unerkannt zu bleiben. Sagt man nun jemandem die ungeschönte Wahrheit ins Gesicht, ohne sich zu verstecken, nimmt man auch heute kein Blatt mehr vor den Mund.

Irgendwer heult immer

Wer Kinder hat, der kennt sie zur Genüge: die Krokodilstränen. Wer sie weint, dem wird nachgesagt, nur so zu tun, als ginge es ihm schlecht, kurz – nur eine Show abzuziehen. Wie kommen dabei Krokodile ins Spiel? Tatsächlich produzieren Krokodile ein Sekret, das ihnen in die Augen rinnt, wenn sie fressen. Früher vermutete man, die Tiere würden Mitleid mit ihren Opfern heucheln, was aus heutiger Sicht doch recht unwahrscheinlich klingt. Fakt ist: Beim Aufsperren des Mauls drückt der Oberkiefer auf eine Drüse, die hinter dem dritten Augenlid des Tieres versteckt ist – diese sondert die Flüssigkeit ab, die ins Auge gelangt. Es handelt sich also um einen schnöden körperlichen Vorgang ohne jegliches Drama – ganz anders als bei den Krokodilstränen des Nachwuchses. Ich spreche hier aus Erfahrung.

Sag’s mit Blumen!

Den Kindern brauchen Sie in aller Regel auch nichts durch die Blume sagen, also vorsichtig und freundlich angedeutet Kritik üben, da stellen sie sich taub. In früheren Jahrhunderten hat das wohl ganz gut funktioniert, wenn auch mit anderer Bedeutung als heute. Unterschiedlichen Blumen waren verschiedene Bedeutungen zugeordnet. Während die rote Rose, nicht ganz unerwartet, einem Liebesbekenntnis gleichkam, konnte durch eine weiße Nelke vermittelt werden, dass man noch zu haben sei. Gelbe Nelken dagegen kamen einer Beleidigung gleich. Wichtig war auch, wie die Blumen verwendet wurden – als Geschenk, am Kleid getragen oder in den Haaren? In die Neuzeit hat sich nahezu nur die rote Rose gerettet, die immer noch als ein Symbol der Liebe angesehen wird. 
Ein anderer Erklärungsversuch stammt aus der Zeit des Barock: Gespräche zwischen unverheirateten Herren und Damen geziemten sich nicht. Um doch die eine oder andere Intimität auszutauschen, gab es eigene Sofas, die über zwei Sitzflächen verfügten, die Rücken an Rücken lagen. So konnten ungestörte Unterhaltungen über die Lehne hinweg geführt werden, gern hinter einem Fächer versteckt, ohne die Anstandsdame auf den Plan zu rufen. Da die Rückenlehne oft mit Blumen geschmückt war, sprach man im wörtlichen Sinne „durch die Blume“.

Pferdewette gefällig?

Sie haben beim letzten Fußballturnier nur eine Platzierung unter ferner liefen erreicht? Macht nichts, wir sind trotzdem stolz auf Sie – und geben Ihnen ein bisschen Futter an die Hand, damit Sie verstehen, wo „ferner liefen“ eigentlich ist, wenn es Sie schon dorthin verschlagen hat. 

Unter ferner liefen ist eine Formulierung aus dem Bereich der Pferdewetten. Hier wurden früher nur die wichtigsten Ränge genannt, also die ersten drei Plätze. Alle weiteren Pferde und Platzierungen wurden in der Spalte „Unter ferner liefen“ aufgeführt. So einfach kann eine Erklärung manchmal sein.

Bodenlos

Haben Sie schon mal einen Korb von der oder dem Angebeteten bekommen? Vermutlich nicht im wörtlichen Sinne. Im Mittelalter jedoch war genau das durchaus der Fall – und konnte etwas Gutes oder Schlechtes bedeuten. Erhörte ein angebetetes Fräulein den Freier, zog sie ihn in einem Korb zum Fenster hinauf (wie genau das vonstattenging, ist mir nicht ganz klar, aber lassen wir das mal so stehen). Wollte sie ihn jedoch abweisen, war der Boden des Korbs gelockert, er fiel also hindurch und konnte nicht zu seiner Liebsten vordringen. Gut, dass sich die Sitten geändert haben!

Die Griechen haben es faustdick hinter den Augen

Wir beobachten diese Entwicklung natürlich mit Argusaugen. Wessen Augen sind das überhaupt? Diese Formulierung kommt aus der griechischen Mythologie, in der Argos von Hera damit beauftragt wurde, Io im Auge zu behalten, damit sie sich nicht heimlich zu einem Schäferstündchen mit Heras Gatten Zeus trifft. Das Gute: Argos hatte gleich 100 davon – Augen natürlich –, sodass einige davon immer wachsam blieben, auch wenn die anderen schliefen. Das Schlechte: Hermes trickste Argos aus und das Ganze ging nach hinten los. Lesen Sie es gern mal nach. Wir haben übrigens mindestens genauso viele Augen für Sie hier im Lektorat zur Verfügung. Alle offen und nicht auszutricksen. Versprochen. 


Sybille Vibrans

Sybille Vibrans lektoriert aus Leidenschaft. Als Teamleiterin im Deutschen Lektorat nimmt sie die Sprache ganzheitlich in den Blick: Sie korrigiert, sie schult und sie berät zu vielfältigen Sprachfragen. Nicht zuletzt schreibt sie selbst. Ihre Blogs und Posts treffen den Nerv der Zielgruppen. Und die Auftragstexte, die sie und unsere von ihr betreuten Autoren schreiben, ranken ganz oben in der Gunst unserer Kunden.
Sybille Vibrans